Von 100 auf 0: Wie mich ein Hitzschlag mit Organversagen aus der Bahn geworfen hat
Diese Zeilen nehmen dich mit auf meine Reise an einem Tag, der wundervoll begann, mich kurz dem Tod gegenüberstellte, aber schließlich doch gut endete
Nach Schwarz kommt Rot, vielleicht auch nicht.
Es ist der 19. Juni 2022, und endlich findet wieder eine Laufveranstaltung statt, die erste nach der langen Corona-Pandemie. Wir haben in dieser Zeit viel verloren – sowohl mein Vater als auch mein Schwiegervater sind direkt und indirekt an den Folgen von Corona verstorben. Auf der Rückfahrt von einer der Beerdigungen gerieten wir in einen schweren Autounfall.Ein Raser, den ich beim Spurwechsel offensichtlich übersehen hatte, fuhr uns mit 280 km/h auf. Glücklicherweise überlebten wir alle.
Ich bin kein Spieler, aber wenn beim Roulette eine Reihe von Schwarz kommt, muss doch irgendwann wieder Rot kommen, oder? Doch an diesem Tag kam erneut Schwarz.
Stille
Laufen ist seit meiner Kindheit meine Leidenschaft. Es gibt nichts Besseres, als den Kopf freizubekommen – ob bei einem ruhigen Lauf am Fluss oder einem kraftvollen Sprint die Berge hinauf. Und dann sind da noch die Wettkämpfe. Die Aufregung vor dem Start, die Vielfalt der Läufer, die alle dieselbe Leidenschaft teilen, und die mitreißende Stimmung – das alles macht das Laufen für mich unverzichtbar.
Ich gehe zum Start, trinke nochmal einen ordentlichen Schluck Wasser, verabschiede mich von meiner Frau und warte gespannt auf den Startschuss. Ja, es ist unangenehm warm und schwül heute. Ich habe gut trainiert und plane, die 10 Kilometer in 50 Minuten zu schaffen. Endlich geht’s los. Routiniert pflüge ich durchs Feld. Ja, es ist wirklich heiß heute. Die 50 Minuten verwerfe ich und beschließe ab Kilometer 8, einfach gemütlich anzukommen. Der Einlauf auf den Cannstatter Wasen. Die Sonne brennt gnadenlos von oben, und der aufgeheizte Schotter röstet mich von unten…
Plötzlich sehe ich lange, widerliche Typen in grauen Mänteln, die meine Frau zur Seite stoßen und mit langen Zangen meine Finger abschneiden. „Herr Ennnddlleeeeer, Hallooooo! Wir müssen Sie arretieren!“
„Herr Endler, Sie sind im Robert-Bosch-Krankenhaus. Sie sind vor dem Ziel kollabiert!“ 41 Grad Körperkerntemperatur, Lebensgefahr. Okay, dumm gelaufen. Heute Abend geht’s bestimmt wieder heim. Doch das Schicksal hat andere Pläne.
Schüttelfrost, Krämpfe, Erbrechen. Stille. Meine Beine fangen wieder an zu krampfen. Mit aller Kraft drücke ich meine Füße gegen das Bettgestell. Es brennt fürchterlich……. Ich sehe mich von oben. Nahtoderfahrung. Ein dunkler Raum, ich liege seitlich in einer Schale. Ist das jetzt der Moment, den jeder Mensch in seinem Leben hat? Bewusst oder unbewusst. Muss ich jetzt loslassen?
Aus dem Hintergrund höre ich Schreie. „Herr Endler, Herr Endler, Haaaaaaalllooooo!“ Hm, offensichtlich geht es hier um mich. Was ist los?
Ich kämpfe verzweifelt, mein rechtes Bein hochzubekommen. Hamburg – unser Traumziel, ganz oben auf unserer Bucketlist. Ich sammle all meine Kraft, schaffe einen letzten Kick, und das Bein ist oben. Plötzlich bin ich wach. Ich liege komplett verkabelt auf der Intensivstation, Schläuche führen in meinen Körper, und der Sauerstoff in meiner Nase lässt mich wieder klarer sehen. Überall blinken LEDs und piepen Alarme. Ich bin raus aus der Hölle – ich lebe.
Hubschrauber oder Rettungswagen?
Nach einer fast schlaflosen Nacht wache ich früh in meinem Bett auf. Blut und Kot kleben an meinem Rücken. Ich schäme mich. Ein Pfleger legt mir die Hand auf die Schulter und sagt: „Kein Problem, ich mache das sauber.“
Visite. Der Professor und sein Team fragen mich lautstark, wie ich so verrückt sein kann, bei dieser Hitze zu laufen. Sämtliche Notaufnahmen in der Umgebung sind mit kollabierten Läufern und Läuferinnen überfüllt.
„Offensichtlich muss Ihre Leber raus. Sie stehen schon auf der Transplantationsliste. Wir bringen Sie in die Uniklinik Tübingen!“
Was? Erst jetzt bemerke ich, dass ich komplett gelb bin. Ich komme mir vor wie in einem falschen Film und versuche, alles irgendwie zu begreifen.
Auf den Hubschrauber verzichte ich, und ein Krankenwagen bringt mich nach Tübingen. Nach der Annahme bekomme ich einen permanenten Zugang gelegt.
Die Tage vergehen. Ich liege benommen da, bekomme Infusionen und versuche irgendwie die Zeit totzuschlagen. Die Tour de France läuft im TV. Werde ich jemals wieder Rad fahren können?
Ich bin komplett aufgequollen, die Badeschlappen passen nicht mehr, und ich fühle mich schwerfällig und träge. Wassereinlagerungen machen mir zu schaffen.
Aber dann die gute Nachricht: Die hohen Leberwerte gehen langsam runter. Noch weit über dem Soll, aber das Ärzteteam ist guter Dinge. „Ihre Leber bleibt drin!“ Rot, der Hauptgewinn.
Die nächsten Tage bekomme ich häufig Besuch von Medizinstudierenden. Sie klopfen mich ab und fragen mir Löcher in den Bauch. Ein Arzt fragt mich, ob sie mich nicht gleich in den Hörsaal schieben sollten.
Nach zehn Tagen darf ich endlich raus. Ein eingefangener Infekt hatte mich noch ein paar Tage ans Bett gefesselt. Glücklicherweise keine Corona.
Demut und Respekt
Wieder daheim, muss ich noch zwei Wochen pausieren. Ich bin todmüde, liege auf dem Sofa und höre die vertraute Stimme meiner Frau im Homeoffice. Ein Meeting nach dem anderen. Sie hatte meinen Zusammenbruch und die Erstversorgung live miterlebt.
Wochen und Monate werde ich von den gleichen Bildern der Nahtoderfahrung verfolgt. Ich fange langsam wieder an, mich sportlich zu bewegen. Die Spazierrunden werden immer größer, ab und zu Radfahren, Schwimmen und etwas Kraftsport.
Vorwürfe zermürben mich. Was habe ich nur falsch gemacht? Eigentlich wollte ich doch nur laufen. Im Herbst 2022, etwa vier Monate später, bin ich zumindest körperlich wieder voll belastbar.
Dankbarkeit
Ich möchte allen danken, die mir in den schweren Stunden zur Seite standen. Besonders meiner kleinen Familie, die am meisten darunter gelitten hat. Plötzlich war alles ungewiss. Ein großes Dankeschön auch an meine Freunde und Bekannten – jede Nachricht hat mir Kraft gegeben. Unglaublich, was das Krankenhauspersonal tagtäglich leistet. Und nicht zu vergessen die vielen ehrenamtlichen Helfer: Ohne euch könnte ich diese Zeilen heute nicht schreiben.
Die Hitze ist ein ernstes Problem, das uns alle betreffen kann. Eine zu hohe Körperkerntemperatur kann Prozesse im Körper auslösen, die unumkehrbar sind. Mit dem Klimawandel wird dieses Problem nur noch drängender. Unsere Belastbarkeit nimmt bereits bei einem Grad mehr ab. Deshalb müssen Städte, Kommunen und das Gesundheitssystem jetzt handeln und sich dieser Herausforderung stellen.
Passt gut auf euch auf. Das Leben ist schön.
Maik
Links zum Thema Organversagen nach einem Hitzschlag
- Medical Tribune: Multiorganversagen nach Hitzschlag – Dieser Artikel beschreibt, wie ein Hitzschlag zu Multiorganversagen führen kann und welche Maßnahmen ergriffen werden sollten.
- PraktischArzt: Komplikationen bei Hitzschlag – Erläutert die möglichen gesundheitlichen Komplikationen eines Hitzschlags, einschließlich der Gefahr von Organversagen.
- Wikipedia: Hitzschlag bei Menschen – Bietet eine umfassende Erklärung zu Hitzschlag und seinen möglichen Folgen, einschließlich der Gefahr eines (Multi-)Organversagens.
- Die Techniker Krankenkasse: Hitzschlag – Dieser Artikel erklärt, wie gefährlich ein Hitzschlag sein kann und dass er in manchen Fällen zum Organversagen führen kann.
- TeleClinic: Hitzschlag – Prävention und Behandlung – Informationen über die Behandlung von Hitzschlägen und die Gefahr von Organversagen.
- MSD Manual Profi-Ausgabe: Hitzekrankheit – Dieser Artikel beschreibt die Symptome und Komplikationen bei Hitzekrankheiten, einschließlich Organversagen.
- AOK: Hitzschlag – Symptome und Maßnahmen – Informationen zu Risikofaktoren und Maßnahmen zur Vorbeugung von Hitzschlag und seinen Komplikationen.
- Springer: Pathophysiologie der Hitzeerkrankung – Ein wissenschaftlicher Artikel, der die Pathophysiologie von Hitzestress und Multiorganversagen beschreibt.
- MedLexi: Multiorganversagen – Dieser Artikel behandelt die Ursachen, Symptome und Behandlungen von Multiorganversagen, das unter anderem durch Hitzschlag ausgelöst werden kann.
0 Kommentare